Jede lebende Spezies auf diesem Planeten hat ihr arteigenes Merkmal, das sie typisch und liebenswert macht. Dasselbe Merkmal kann jedoch – wenn es fehlt – eine Schwachstelle sein. Der majestätische Löwe zum Beispiel trägt als Herrscher der Tiere seine goldene Mähne. Würden wir ihm diese abschneiden, wäre er nur mehr ein Zerrbild seiner einstigen Größe und animalischen Kraft. Oder das australische Schnabeltier … ohne seinen entenähnlichen Schnabel würde es doch bloß aussehen wie ein Biber, der von einem Fünftonnen-Tankzug plattgefahren wurde.

Zu den typischen Merkmalen und (zugegeben wenigen) Schattenseiten des Mannseins ab einem gewissen Alter gehört eine hormonell bedingte Änderung der Körperform gepaart mit einer Intensivierung und gleichzeitiger Reduzierung des partiellen Haarwuchses. In stillen Minuten frage ich mich oft, was der liebe Gott an diesem bayrischen Mönchs-Look findet. Was will er uns bloß mit Bierbauch, einem kahlen Hinterhaupt und Haarbüscheln in Nase und Ohren sagen? Vielleicht ist Gott ja doch eine Frau und schickt uns Männern diese Geißeln als Ausgleich für Cellulite? Vor allem diese männertypische Problemzone um die Körpermitte ist für meine Frau der Grund für missbilligende Blicke und zynische Kommentare. Ich versuche zwar mich damit zu rechtfertigen, dass ich in diesem Körperbereich einfach zu viel Haut besitze und diese deswegen Falten schlägt, aber meine Frau lässt diese Entschuldigung einfach nicht gelten. Auch mein Einwand, dass eine gewisse Fülle der Körpermitte von Weisheit zeugt – und dabei zeige ich auf die kleine, mondgesichtige Buddhafigur, die auf unserem gemeinsamen Kachelofen thront – tut sie mit der Argument ab, dass sie einen schlanken, sportlichen Franz von Assisi-Typ einem fetten, weisen Buddha vorzieht.

Es ist nun nicht so, dass ich eine bekennende Couch-Potato oder etwa unsportlich wäre. Ganz und gar nicht. Zeit meines Lebens habe ich mich regelmäßig für viele Sportarten begeistern können und einige davon auch tatsächlich aktiv ausgeübt. Zum Beispiel war ich viele Jahre lang begeisterter Schachspieler und das ist für mich durchaus in unmittelbarer Nähe zum Leistungssport angesiedelt. Die wesentlichen Kriterien für meine Frau sind allerdings die (wie ich finde rein subjektiven) optischen Eindrücke und – was doch schwerer zu diskutieren ist – die unbarmherzige Anzeige unserer ultramodernen, digitalen Körperfettwaage, die in klobigen, emotionslosen Ziffern Schwarz auf Weiß belegt, dass ich mich gehen lasse. Der mehr als dezente Hinweis meiner Frau fand sich dann beim letzten Weihnachtsfest als Geschenk unter dem Christbaum: Das Jahresabonnement eines Fitnessklubs.

Um der geliebten Partnerin meinen guten Willen zu demonstrieren, habe ich also damit begonnen zwei- bis dreimal pro Woche meine schlaffen Muskeln wieder in Schwung zu bringen – auf mitunter eigenwillig anmutenden Hightech-Geräten, die mich eher an moderne Folterwerkzeuge erinnern. Zu meiner eigenen Überraschung hat es sogar Spaß gemacht, selbst wenn ich zu Beginn Muskelschmerzen in Bereichen verspürt habe, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie besaß. Nach einigen Tonnen an gestemmten Gewichten und literweise Schweiß ist auch optisch durchaus eine Verbesserung zu erkennen. Auch meiner Frau scheint das Ergebnis zuzusagen und die ehelichen Aktivitäten im Schlafzimmer bekommen dadurch eine neue Dynamik, was mich als typischen Mann natürlich überaus freut. Ich steh also abends zufrieden vor dem Spiegel, da überrascht mich meine Frau mit einer guten Idee. Zumindest sie nennt es so. Ich habe im Laufe der Ehejahre gelernt, mir die „Ideen“ meiner Frau auf jeden Fall einmal anzuhören (da ich sonst im Bett dafür zu büßen habe). Sie fände es schön, wenn ich mir nicht nur den Bart, sondern überhaupt den ganzen Körper rasieren würde. Das wirke auf sie durchaus sexy und anziehend. Das Streicheln eines weichen, langen Fells wirke zwar im Fall der hauseigenen Katzen beruhigend, bei Männern wecke eine Behaarung Marke „Gibbon“ doch eher Assoziationen mit unseren auf den Bäumen lebenden Verwandten.

Aber natürlich wäre es meine Entscheidung und ich soll es so machen, wie ich es will (aus der Sprache der Frauen übersetzt bedeutet dass etwa so viel wie: Junge, wenn du nicht darauf eingehst, wirst du dafür bezahlen). Um das Ganze wie einen Witz klingen zu lassen lachte sie bei dieser Bemerkung. Ich weiß aber aus Erfahrung, dass es ihr damit durchaus ernst war. Allerdings wundert es mich, dass sie meine Körperbehaarung – die ich übrigens als durchaus normal männlich empfinde – jetzt auf einmal stört. Mit einem sanften Schnurren, das ich nur zu gut von den Katzen kannte, meinte sie, dass sie doch viel lieber meine neuen, gestählten und glatten Muskeln ohne „Fell“ berühren würde.

Ich entschloss mich also ihrer „Idee“ – aus bereits oben genanntem Grund – nichts entgegenzusetzen (von diesem ersten Scheren des männlichen Fells wird später einmal berichtet werden). Mir ist bereits aufgefallen, dass sich viele Männer – bevorzugt jüngeren Semesters bzw. auch die Besucher eines Fitnessklubs – den Körper rasieren, weil sie die Erfahrung machen (das habe ich bereits in zahlreichen Gesprächen herausgefunden), dass Frauen das attraktiver finden. Warum also bevorzugen viele Frauen bei Männern glatte Haut, als sich durch einen Urwald von Brusthaaren zu wühlen? Ich denke, dass das Rasieren ein achtsames Umgehen mit dem eigenen Körper signalisiert, von Gesundheitsbewusstsein zeugt (so wie der Besuch eines Fitnessklubs) und gleichzeitig besser den gestählten Körper und damit gute Gene präsentiert. Aus Erfahrung weiß ich ja, dass sich unter ausreichender Behaarung eben doch die eine oder andere Speckfalte besser verstecken lässt. Aber meisten einleuchtend scheint mir die Erklärung, dass Frauen rasierte Männer deswegen anziehend finden, weil Männer mit glatter Haut eben Frauen ähnlicher werden. Und welche Frau liebt sich selbst nicht am meisten?