Sie ist 31 Jahre alt und hat alles, was Sie sich bisher sehnlichst gewünscht hat. Sie hat einen Mann, den sie liebt, zwei zauberhafte, kleine Kinder, die gesund und munter heranwachsen und eine wunderschöne Wohnung in bester Lage. Darüber hinaus eine wunderbare Urspungsfamilie, tolle Nachbarn, Freunde und ein soziales Netz, das alle Unwägbarkeiten auffängt. Sie hat alles … und doch … etwas fehlt. Das, was sie darstellt und das, was sie nach außen zeigt, grenzt an Perfektion.

Sie hat alles im Griff. Sie ist eine tolle Mutter und hält ihrem Gatten den Rücken frei. Sie ist mobil, kümmert sich um alles und jeden und ist immer freundlich. Und doch … wenn sie zur Ruhe kommt, ist sie traurig. Hat sie alles, was sie wollte?

Ja, sie wollte Kinder. Sie wollte aber auch eine Familie. Sie hat keine Familie. Sie hat zwei Kinder, aber der Mann, der zur Familie gehört, ist fast nie da. Er arbeitet. Er hat Verantwortung. Er sorgt allein fürs Familieneinkommen … da kann „Mann“ sich nicht viel um die Familie kümmern. Also ist es doch vernünftig, Aufgaben gut aufzuteilen, oder?

Ja, das ist vernünftig, aber es fühlt sich falsch an … SIE fühlt sich falsch an. Sie fühlt sich immer einsamer. Sie merkt gar nicht richtig, WIE einsam sie sich fühlt, denn sie kommt nie zur Ruhe … sie ist getrieben. Das Bild muss aufrechterhalten werden.

Und dann trifft sie eines Tages IHN. Er sieht sie an und sie fühlt augenblicklich, dass er sie so ansieht, wie sie eben angesehen werden will. Er sieht sie an … sieht sie, wie sie wirklich ist.

Er ist genauso einsam und dennoch nicht allein. Er hat eine Frau, die ihn nicht mehr wahrnimmt, weil sie mit den Kindern beschäftigt ist. Er möchte gerne mehr Rolle spielen in der Familie, wird aber irgendwie nicht gebraucht. Er fühlt sich nicht als ganzer Mann … nicht verstanden, nicht respektiert und nicht begehrt.

So sehen sie sich gegenseitig an und erkennen ihre eigene Sehnsucht in den Augen des anderen. Und verstehen sich perfekt … das „Unheil“ nimmt seinen Lauf.

Abgesehen davon, dass nie alle Menschen thematisch in eine Schublade passen, denke ich, dass Frauen aus dem gleichen Grund fremdgehen, wie Männer.

Aus Frust, aus Einsamkeit und dem Wunsch heraus sich selbst zu spüren.

Sie sieht nun also in diesen menschlichen Spiegel und fühlt sich selbst endlich wieder. Es ist aufregend, es kribbelt überall. Sie fühlt sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Aber da ist auch noch eine andere Seite in ihr …

Die Seite, die denkt, die Seite der Vernunft. Wenn sie alleine ist, ist sie die wandelnde Ambivalenz. Sie weiß, dass sie ein Gefühlsmensch ist und sich vielleicht in Nullkommanix verliebt.
Was dann? Was ist mit den Kindern? Kann sie es wagen, eine Familie zu zerreißen, nur um ihrer selbst willen? Nur für die magischen Momente mit Schmetterlingen im Bauch? Was ist mit seiner Frau? Was tut er ihr an? Würde sie wollen, dass ihr so etwas angetan würde? Was ist am Ende richtig? Das Gefühl genießen, ihm aber nicht nachgeben? Eine Affäre beginnen und nicht wissen, wie das alles ausgeht? Sich verlieben und am Ende alleine dastehen?

In ihr kreisen Fragen um Fragen. Jeder Gedanke lässt neues Gefühl auftauchen. Die meisten davon sind unangenehm. Sie will das nicht. Unsicherheiten sind ihr zuwider. Sie braucht klare Grenzen und Regeln. Irgendwann muss eine Entscheidung her. Egal wie, Hauptsache Entscheidung. Es muss klar sein, damit es weitergehen kann … egal wie weh es tut …

Aber wenn sie bei ihm ist … dann wird es leicht. Sie denkt nicht mehr in Fragen. Sie denkt leicht … in fluffigem Optimismus. Und sie fühlt … sie fühlt so viel. Sie ist so voll davon, dass sie denkt bald platzen zu müssen. Ob das schon Liebe ist? Sie müsste bei ihm bleiben, damit die quälenden Fragen nicht wiederkommen. Ist es das alles wirklich wert??

Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass die Gründe für Fremdgehen bei Frauen und Männern nicht so unterschiedlich sind.

Auch Frauen gehen fremd, wenn sie auf Dauer keine sexuelle Befriedigung in ihrer Beziehung erfahren. Und auch Männer gehen fremd, wenn sie nicht wahrgenommen werden, wenn sie sich nicht gehört fühlen und über Kommunikation keine Änderungen ihrer Situation erfahren.

Der grundlegendste Unterschied mag sein, dass (die meisten) Frauen „wandelndes Denken“ sind. Wir Frauen können schier nicht glauben, dass in Männerköpfen Stille herrscht.

Oh, was gäben wir darum, diese Stille manchmal erleben zu dürfen.

Wir denken unentwegt. Manchmal ist das eine Qual. Fast immer können wir uns erklären und ertragen es gleichzeitig nicht, wenn Situationen (auf Dauer) unklar und ungewiss sind.
 
So kann es also passieren, dass eine Frau, die einen potentiellen Affären-Partner findet, die Situation derart „zerdenkt“ und überanalysiert, dass nichts weiter passiert, als eine Unmenge Kopfkino, die Hollywood erblassen ließe. Segen oder Fluch? Das muss jede Frau für sich selbst entscheiden.

Betrugsszenarien und Affären sind immer Situationen, die (meist) über eine lange
Vorgeschichte, über viel Leidensdruck und – wie bereits erwähnt – jede Menge Frust entstehen. Aus meiner Beratungserfahrung heraus ist das geschlechterübergreifend und unabhängig von der sexuellen Orientierung überall gleich.

Wenn sich zwei Menschen begegnen, die die gleiche Sehnsucht mit sich herumtragen, dann muss es schon fast einen Knall geben, wenn sie sich ineinander erkennen und (erstmal) nicht verstehen, dass sie nur ihr Defizit im Spiegel betrachten.
Und oft – fürchterlich oft – enden solchen Geschichten in wahren Dramen. Es zerbrechen Familien und Beziehungen. Es gehen Geschichten zu Ende und auf der Strecke bleiben oft Kinder, Tiere und Häuser zurück, die einst das Ergebnis von Träumen und dem Glauben an die Liebe waren.

Es gibt viele Möglichkeiten Beziehungen zu verbessern, sie zu beeinflussen und in andere Richtungen zu lenken. Es gibt Wege und Möglichkeiten sich in Beziehungen auf anderen Ebenen zu begegnen. Ich habe schon oft erlebt, dass „totgeglaubte“ Beziehungen neu erwacht sind und aus der schwärzesten Krise etwas Neues und Besseres entstanden ist – auch nach solchen Geschichten, nach Lug, Trug und schlimmen Verletzungen.

Aber das ist ein anderes Thema …

Autorin: Carolin Camin betreibt eine Praxisgemeinschaft in Erlangen. Ihre Schwerpunkte sind Trennungsberatung, Paarberatung und Liebeskummercoaching.  www.praxis-am-lamm.de