Es gibt Geschichten im Leben eines Beraters bei denen es wirklich sehr schade wäre, wenn sie im digitalen Archiv der Falldokumentationen virtuell verstauben würden.
Neulich in meiner Coaching Praxis erzählte mir ein Mann mittleren Alters – nennen wir ihn einmal Max – folgende (wirklich wahre) Begebenheit aus dem ehelichen Schlafzimmer:
Samstagmorgen … der perfekte Zeitpunkt um auszuschlafen, zu entspannen und das arbeitsfreie Wochenende zu genießen. Leider hält sich das nachbarliche Federvieh nur selten an den Arbeits- und Wochenendrhythmus eines durchschnittlichen Dienstnehmers.
Vor allem der Hahn der gefiederten Sippschaft – nennen wir ihn einmal Paul – fühlt sich alle 5 Minuten gemüßigt das regelmäßige Bespringen seines Hühnerharems durch lautstarkes und nervenzerfetzendes Krähen aller Welt kund zu tun.
Paul ist potent, Paul ist stolz und Paul ist verdammt laut.
Diese stolze Kräh-Demonstration hähnlicher Potenz, die ob ihrer Häufigkeit jeden Mann neidvoll erblassen ließe, lässt jedoch in Max weniger Neid als viel mehr den Gedanken an in Rattengift getränktes Hühnerfutter aufkommen … und irgendwo muss doch noch Pfeil und Bogen vom Sohnemann herumliegen. Wenn die Stahlspitzen der Pfeile die Zielscheibe aus Stroh durchschlagen, sollte doch ein wabbliger Hühnerhals keine wirkliche Barriere darstellen, denkt sich unser Max.
So hängt Max also seinen wenig pazifistischen Gedanken nach, als er völlig unverhofft die warme Hand seiner Frau – nennen wir sie Lena – auf seinem nackten Bauch spürt. Max ist ein Mann und Max denkt jetzt nicht an gefühlvolles Streicheln und zärtliches Kuscheln sondern an Sex. Max hofft auf das morgendliche Nirvana jedes Mannes … den Blowjob gleich nach dem Aufwachen (und natürlich nach dem morgendlichen Toilettengang).
Lena scheint an diesem Morgen weder an den Hausputz noch an die Einkaufsliste zu denken, sondern gleitet mit ihrer Hand tatsächlich tiefer. Und ja, Max hat den Toilettengang schon erledigt. Max honoriert die Initiative seiner Frau durch wohlige Laute (keine Sätze natürlich, denn wer dabei in ganzen Sätzen sprechen kann ist zu viel im Kopf und wohl kaum bei der Sache). Und auch Paul am Nachbarsgrundstück kommentiert Lenas Handarbeit durch motivierendes, schrilles Krähen.
„Ob Lena nach meinen Beschwerden gestern ein schlechtes Gewissen hat? Will sie mir einfach nur einen Gefallen tun? Das wäre auch nicht gerade das Gelbe vom Ei …“ (Hier schleicht sich wohl – beeinflusst vom Gegackere – unbewusst eine hühnerliche Assoziation ein).
Diese Gedanken schießen – begleitet von Pauls Schlachtruf – durch den Kopf von Max … und schon machen sich diese mentalen Ablenkungen durch das Absinken seines speziellen Härtegrads bemerkbar.
Lena erkundigt sich natürlich sofort was los wäre (und spricht dabei übrigens in ganzen Sätzen). Max versucht mehr oder weniger eindeutig Lena in Richtung Nirvana zu lenken und drückt das mit den zwei Wörtern „Zu trocken …“ (Man beachte: Kein ganzer Satz) aus.
Als Mann vermeidet Max das Wort Blowjob ganz bewusst, wohl wissend, dass seine Lena – wie viele andere Frauen auch – dieses Wort als zu technisch und lieblos empfindet, quasi als eine seelenlose Dienstleistung am Kunden.
Paul unterstreicht die Andeutung von Max mit einem auffordernden Krähen.
Lena lächelt – ob schelmisch, wissend oder mitleidig ist für Männer wie Max schwer zu deuten – und greift leider nicht zu seinem besten Stück sondern nach einer Flasche Massageöl, die auf dem Nachttisch steht.
„Also vorerst kein Nirvana … aber was noch nicht ist kann ja noch werden“, denkt sich Max (diesmal in einem ganzen Satz). Da das Öl ja geschmacksneutral und Lena heute in aktiver Laune ist, gibt Max die Hoffnung auf einen Blowjob noch nicht auf.
Auch Paul drückt seine Erwartungen lautstark und schrill aus.
Lena lässt Massageöl in ihre rechte Hand laufen und beginnt damit Max einzuölen. Max schließt die Augen und genießt die Zuwendungen seiner Frau wieder … begleitet von einigen wohligen Grunzlauten. Selbst das wiederholte Krähen von Paul lässt nur ganz kurz Gedanken an Pfeile mit Stahlspitzen aufblitzen.
Max fühlt sich wirklich sehr wohl an diesem Samstagmorgen. Paul übrigens auch. Von Lena wissen wir es nicht genau …
DA-DING … Lenas Smartphone am Bettrand meldet den Empfang einer WhatsApp-Nachricht.
Die Auf-und-Ab-Bewegungen von Lenas rechter Hand stocken kurz. Max öffnet die Augen und hält den Atem an. Selbst Paul scheint sich der Sprengkraft dieses Augenblicks bewusst zu sein und schweigt rücksichtsvoll.
Lenas rechte Hand nimmt die Bewegungen – wesentlich mechanischer als zuvor scheint es Max – wieder auf, während ihr Blick versucht den Absender der Nachricht auf dem Display zu entziffern, was ihr jedoch ohne Brille nicht gelingt. Max gibt vor die Augen wieder geschlossen zu halten, beobachtet jedoch hinter halb gesenkten Lidern die Reaktion seiner Frau.
Lenas Blick wandert zu Max und wieder retour zu ihrem Handy. Um sich und Max abzulenken, quetscht sie die halbe Flasche Massageöl auf den Unterleib von Max und steigert den Rhythmus ihrer Handbewegungen.
DA-DING … die zweite Nachricht. WhatsApp muss wohl von einer Frau erfunden worden sein, die viel Zeit, keinen Mann und keinen Hahn im Nachbarhof hatte.
Lena ist versiert genug um diesmal in ihren Bewegungen nicht inne zu halten. Allerdings streckt sie jetzt die linke Hand aus und versucht das Smartphone am Bettrand zu erreichen, was sich als schwierig herausstellt ohne die kniende Position zu verändern. Sie biegt also das linke Bein nach hinten, senkt den Oberkörper und schafft es tatsächlich ihr Handy in die Finger zu bekommen ohne die Beglückung von Max zu unterbrechen.
Als multitasking-fähige Ehefrau schafft es Lena tatsächlich mit ihrem linken Daumen den Entsperrungscode ihres Smartphones auf das Display zu malen während sie sich mit der rechten Hand bemüht ihrem Ehemann einen runterzuholen.
Paul – der Verräter – unterstützt ihre Bemühungen mit einem enthusiastischen Doppelkrähschrei.
Max starrt Lena an: „Das kann doch nicht wahr sein!“ (Ein klarer und ganzer Satz).
Lena legt das Handy schnell beiseite, aber es ist zu spät. Jegliche Erregung ist verschwunden. Max springt auf. Lena bittet ihn sich wieder hinzulegen, aber als Mann besitzt Max doch eine gewisse Würde. Lena entschuldigt sich, sagt, dass es ihr leid tue. Sie habe nicht nachgedacht (obwohl sie natürlich genau das getan hat).
Paul kräht vor Schadenfreude und bespringt die nächste Henne.
Max stürmt beleidigt und gedemütigt (ja, das gibt es bei Männern tatsächlich) aus dem Schlafzimmer und beschließt sich auf die Suche nach Pfeil und Bogen zu machen. Dem verdammten Vogel soll doch der Schrei im durchbohrten Hals stecken bleiben …
P.S.: Es gelang mir in der Coaching-Sitzung sowohl eine Ehekrise als auch den feigen Mord an einem im Grunde unschuldigen aber potenten Hahn abzuwenden …