Männliche Eigenschaften werden in unserer Gesellschaft ungleich höher honoriert als weibliche. Das gilt in erster Linie für die Berufswelt. Wie es sich sicher schon herumgesprochen hat, ist es ein Trugschluss zu meinen, dass Männer aus diesem Grund glücklicher oder gesünder wären.

Während bei Mädchen im Laufe ihrer Entwicklung die sozialen Kompetenzen gefördert werden, ist es bei Jungen viel mehr die Selbstständigkeit, die im Vordergrund steht.

Mädchen definieren sich innerhalb der Familie im Rahmen einer Beziehung. Sie haben ein enges Verhältnis zur Mutter und erleben, dass sie und ihre Mutter gleich sind.

Dieses Selbstverständnis nehmen Mädchen im Allgemeinen in ihre späteren Beziehungen und Partnerschaften mit. Jungen haben diese Identifikationsmöglichkeit mit der Mutter nicht. Sie lernen in vielen Fällen, dass ein Mann zu sein bedeutet, keine Frau zu sein. Sie grenzen sich klar von der Mutter ab. Zusätzlich existiert in unserer Gesellschaft die Tendenz, dass von Müttern verlangt wird ihre Söhne loszulassen, damit diese zu einem richtigen Mann werden können.

Der „Rockzipfel der Mutter“ und das „Hotel Mama“ sind typisch dafür. Diese Klassifizierungen wollen viele Mütter vermeiden und suchen ab einem gewissen Alter zu ihren Söhnen weniger zärtliche Nähe als zu ihren Töchtern. Gemeinsam mit den Vätern werden Jungen auch anders erzogen. Unabhängigkeit und Eigenständigkeit werden gefördert. Schon viele Dreijährige glauben zu wissen, dass ein „richtiger Mann“ nicht weint und nicht ängstlich ist. Im Gegensatz dazu lernen sie, dass Aggression und Ärger in der männlichen Welt akzeptierter sind als alle anderen Gefühle.

Alle Menschen sehnen sich nach Bindung, nach Verständnis und Liebe. Allerdings werden Jungen in unserer männlichen Kultur dazu angehalten dieses Bedürfnis zu unterdrücken. Und das tut weh. Viele Jungen und Männer schaffen das nur durch ein übertriebenes Ablehnen von allem Weiblichen, oft gepaart mit Zynismus und Gleichgültigkeit.

Auf die frühe, emotionale Abspaltung von den Müttern reagieren die Söhne mit Trauer. Sie fühlen sich alleine gelassen, aber wagen es nicht, das zu zeigen. Sie sind orientierungslos und wissen nicht, was sie tun sollen. Sie schämen sich, wenn sie diesen Wunsch nach Bindung ausdrücken.

Um sich vor diesen Schmerz zu schützen entwickeln alle Männer Strategien, um mit der frühen Trennung von der Mutter zurechtzukommen.

Sie errichten Mauern und Panzerungen um sich diesen Schmerz nicht anmerken zu lassen.

Im Erwachsenenleben verbarrikadieren sie sich hinter dem Computerbildschirm, trinken zu viel Alkohol, treiben exzessiv Sport oder versuchen – wie oben erwähnt – durch zynische Bemerkungen alle Emotionen abzuwehren. Gefühlsmäßige Bedürftigkeit wird hinter aktiver Hektik, Aggressionen oder Gleichgültigkeit versteckt.

Ja, Jungen sind selbstbewusster als Mädchen. Genauso haben sie häufiger Probleme in der Schule oder kommen öfter mit Alkohol und Drogen in Kontakt. Jungen haben häufiger Entwicklungsverzögerungen, chronische Krankheiten und motorische oder sprachliche Beeinträchtigungen.

Viele Experten sehen einen klaren Zusammenhang zwischen der frühen Lösung aus der Bindung an die Mutter und den typischen Entwicklungsproblemen von Jungen. So wird z.B. dieses Beziehungsdefizit als eine Hauptursache der Zunahme von ADHS unter Jungen angesehen.

Der beste Schutz für die körperliche und seelische Gesundheit ist eine enge Beziehung mit zumindest einem Elternteil.

In einem sozialen Familiennetz eingebundene Kinder haben deutlich mehr Widerstandskraft um die Herausforderungen des Lebens zu meistern. Emotional gefestigte, junge Menschen haben seltener Suizidgedanken und konsumieren weniger Drogen. Das gilt für Mädchen und Buben. Frauen und Männer sind emotional bedürftig, aber leider sind Männer häufiger auf der Gefühlsebene nicht zugänglich.

Männer hoffen und wünschen sich, dass eine Frau sie auf die richtige Weise unterstützt und beeinflusst. Es fällt ihnen jedoch schwer zuzugeben, dass sie diese Nähe und dieses Verständnis brauchen.

Männer sehnen sich nicht nach Einsamkeit, aber sie meinen, sich nicht abhängig zeigen zu dürfen. Aus diesem Grund verstecken sie sich auch vor den Frauen. Es ist ein Schutzmechanismus. Schutz vor dem Verlassen werden und all dem, was sie als zu weiblich betrachten.

Deswegen ist es für Frauen auch so schwierig, eine innige und offene Beziehung zu einem Mann zu führen. Es existieren in der männlichen Psyche unzählige Minenfelder … vergrabene Ängste des Mannes. Ein falscher Tritt der Partnerin und die unbewusste Angst vor Kontrollverlust explodiert. Ich kenne viele Männer, die ihr Leben lang den Schmerz bekämpfen, nicht die Mutter gehabt zu haben, die sie gebraucht hätten.

Der Verlust der Mutter steht für den Verlust des Zuganges zur eigenen Gefühlswelt.

Es bleibt Männern und Frauen nur der Weg des wechselseitigen Verständnisses. Zu verstehen, dass Partnerschaften und Beziehungen auf ganz unterschiedliche Weise erlebt werden. Frauen empfinden sich nicht mehr als bedürftig und Männer können lernen ihren Schutzschild zu senken und Gefühle für sich und die Partnerin zuzulassen.

Wie Sie das tun sollen? Lesen Sie meinen Blog ;-)

Quelle: Ursula Nuber, Wer bin ich ohne dich?, Frankfurt am Main 2014