In dem Artikel Die männliche Midlife-Crisis habe ich erwähnt, dass wir Männer unsere Anima, d.h. unsere weibliche Seite am besten unter anderen Männern entdecken können. Das mag zuerst etwas eigenartig klingen, ist aber einfach zu erklären.

Wesentliche Aspekte der weiblichen Seite sind das Zulassen von Nähe und Intimität und das sind ja Dinge, die wir Männer normalerweise bei anderen Frauen suchen. Wenn Männer einander begegnen, steht bewusst oder unbewusst zunächst einmal Konkurrenz im Vordergrund. Wir messen uns mit dem Gegenüber. Hier schwingt eine tiefe, unbewusste männliche Angst mit … die Angst weiblich und schwach zu sein.

Intimität zuzulassen bedeutet für uns Männer immer ein Risiko einzugehen, nämlich das Risiko verletzt, abgelehnt oder zurückgestoßen zu werden.

Intimität muss aber nicht körperlicher Natur sein. Zu Beginn geht es um emotionale Offenheit. Es geht um die Ehrlichkeit und den Mut von sich selbst erzählen zu können, seine Probleme und Ängste zu schildern und über das zu sprechen, was ich mir als Mann wirklich wünsche. Innerhalb dieser Intimität, dieser Nähe, darf ich mich schwach zeigen, darf ich mich ohne Maske präsentieren und ohne die Angst von meiner Konkurrenz niedergemacht zu werden.

So einen Rahmen können Männerfreundschaften und Männergruppen bieten. In so einem geschützten Rahmen können Männer einander unterstützen und viel geben und das auf eine andere Art und Weise, als Frauen das tun könnten. Es geht dabei um das wechselseitige Unterstützen der Männlichkeit und das Hinterfragen der von uns Männern gespielten Rollen, wie z.B. des Vaters, des Partners, des Freundes oder des Mannes im Berufsleben. Dieses wechselseitige Öffnen fällt uns Männern anfangs schwer, da uns Kontrolle so wichtig ist.

Wir Männer müssen kontrollieren, wir Männer müssen unsere Umwelt im Griff haben.

Das weibliche Prinzip, die Anima, ist das Leben selbst und lässt sich schwer kontrollieren. Wir Männer haben eine Heidenangst davor uns lächerlich zu machen. Wir haben Angst davor die falschen Worte zu wählen und ausgelacht zu werden. Wir haben Angst davor als Versager dazustehen. Wir haben Angst unsere Masken abzulegen und uns offen und verletzlich zu zeigen.

Eine andere, tief sitzende Angst, die in der Begegnung mit anderen Männern mitschwingt, ist die Angst vor dem Schwulsein.

Alle Männer haben in ihrer Kindheit den eigenen Vater geliebt und uns an ihm orientiert. Wir Männer sind also fähig andere Männer tief zu lieben und das macht uns Angst. Es ist die Angst vor unserer eigenen, weiblichen Seite. Die Begegnung mit einem offensichtlich schwulen Mann kann uns wieder an die Liebe zu unserem Vater erinnern, an diese Sehnsucht nach männlicher Orientierung, die uns ein Leben lang nicht verlässt. Diese schwule Seite in uns Männern lässt sich eben nicht einfach kontrollieren und deswegen verdrängen wir sie gerne. Sehr gut lässt sich das daran erkennen, wie gut ein Mann dazu fähig ist Kritik von anderen Männern anzunehmen.

Die Fähigkeit eines Mannes direkte Kritik eines anderen Mannes anzunehmen, ist ein guter Gradmesser für die Beziehung zum eigenen Vater.

Denn die Kritik eines Mannes ist ein Ausdruck seiner maskulinen Energie.Ein Mann, der keine gute Erfahrung mit der maskulinen Energie des eigenen Vaters hat, verhält sich destruktiv weiblich, d.h. er ist verletzt, flüchtet oder geht in die Defensive, anstatt sich die Kritik anderer Männer zunutze zu machen.

Jeder Mann sollte sich regelmäßig mit seinen engsten Freunden treffen und darüber sprechen, was er in seinem Leben tut und wovor er sich fürchtet. Diese Gespräche sollten kurz und einfach sein. Der Mann sollte erklären wo er steht. Dann sollten seine Freunde ihm eine praktische Aufgabe stellen, etwas, das er tun kann, um etwas über sich selbst herauszufinden. Es muss dabei um etwas gehen, das ihn aus dem alltäglichen Trott befreit. Es geht nicht um Mittelmäßigkeit, sondern darum die eigenen Grenzen etwas zu überschreiten.

Wenn ein Mann von seinen Freunden nur unterstützt, aber nicht herausgefordert werden will, deutet das klar auf ein nicht abgeschlossenes Vaterthema hin (gleichgültig ob der Vater noch am Leben ist oder nicht).

Die Kraft des Vaters ist die Kraft der Herausforderung und der liebevollen Führung. Ohne diese väterliche Kraft versinkt das männliche Leben im Sumpf der Unentschlossenheit und Mittelmäßigkeit. Sucht euch Freunde, die selbst an der Grenze leben und sich von Zeit zu Zeit auch darüber hinauswagen. Denn nur hinter unseren Grenzen beginnt die Freiheit, die für uns Männer lebensnotwenig ist.

Wir Männer können es schaffen aus diesem Konkurrenzdenken herauszutreten und uns als gleichwertige Männer in einem geschützten Rahmen zu begegnen. Wir Männer brauchen diese Gemeinsamkeiten. Wir brauchen Orte und Tätigkeiten, in denen wir uns als Männer begegnen können. Ohne Frauen.

Es ist für uns Männer so essenziell Männerfreundschaften zu pflegen und Kontakt zuzulassen … auch körperlich. Das bedeutet z.B., dass wir uns in Männergruppen umarmen sollten. Nicht verkrampft oder kumpelhaft in dem wir uns gegenseitig die Lungen aus dem Brustkorb prügeln, sondern auf eine bewusste und entspannte Weise, um die Sicherheit eines männlichen Körpers zu spüren.

Wir Männer brauchen Männer. Mehr als wir es wissen und zugeben wollen. Mann-Sein muss man lernen und das kann man nur von anderen Männern …