Um eine Trennung gut verarbeiten zu können, würden Kinder Eltern benötigen, die nach der Trennung einfühlsam, geduldig, ausgeglichen, optimistisch und zuwendend sind. Also so, wie sie es im bisherigen Leben (die ersten Lebensmonate ausgenommen) vielleicht nie sein mussten.

Zur selben Zeit jedoch befinden sich die meisten Eltern in einer so schwierigen psychischen Situation, dass sie Kinder brauchen würden, die so ruhig, anspruchslos, loyal, seelisch gefestigt, vernünftig und selbstständig sind, wie sie bisher noch nie sein mussten.

In diesem Paradoxon liegt die eigentliche Gefahr der Scheidung/Trennung für die Kinder. Hier ist meist professionelle Hilfe angebracht: Sei es nun in Form eines Seminars, einer Elterngruppe oder individueller Beratung. 
Die Scheidung/Trennung ist für alle Beteiligten eine schwere Lebenskrise und zugleich eine große Chance. Für die Erwachsenen eine Chance auf mehr Lebenszufriedenheit (alleine oder in einer neuen Partnerschaft) und für die Kinder die Chance auf bessere psychische Entwicklungsbedingungen (als in einem Konfliktmilieu). 

Die folgenden Gedanken sind nicht als Handlungsanweisungen zu verstehen, sondern sollen Eltern darauf hinweisen, worauf es ankäme. Einige dieser Empfehlungen sind allerdings ohne professionelle Hilfe kaum umsetzbar.

Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum es Eltern oft schwer fällt, das Richtige für ihre Kinder zu tun: Sie selbst befinden sich in einer so schwierigen emotionalen Situation, dass sie zunächst einmal Hilfe für sich selbst benötigen, bevor sie in die Lage kommen, ihren Kindern die notwendige Unterstützung geben zu können.

Die Entscheidung für oder gegen eine Scheidung (d.h. auch die definitive Trennung nichtverheirateter Eltern) sollte unabhängig von den Kindern getroffen werden!

  • Weder sollten Eltern nur der Kinder wegen zusammenbleiben, noch sollten sie die Zukunft ihrer Beziehung von den Wünschen der Kinder abhängig machen.
  • Unglückliche, unzufriedene Eltern sind selten gute Eltern.
  • Eltern sind für Kinder auch ein Modell in Hinblick auf die „Freude am Leben“.
  • Es hat keinen Sinn, die Trennung wegen der Hoffnung hinauszuschieben, dass sie dem Kind ein, zwei Jahre später weniger ausmachen würde: Es gibt kein „ideales Scheidungsalter“.

Den Kindern müssen die Gründe für die Scheidung verständlich, aber ehrlich erklärt werden!

  • Jede nicht gegebene Erklärung wird vom Kind durch eine Fantasie über die Gründe der Trennung ersetzt (die meisten Kinder suchen die Schuld bei sich selbst).
  • Häufiges Streiten ist nicht nur eine angstmachende Erklärung, sie ist auch falsch: Streiten gehört zu jeder (guten) Beziehung. Zur Trennung führt vielmehr das Ausbleiben liebevoller Versöhnung. Das aber ist die Folge davon, dass in der Liebesbeziehung etwas nicht stimmt: In den meisten Fällen handelt es sich dabei um verloren gegangene Liebe, sexuelle Probleme und/oder schwere Kränkung eines Partners.
  • Günstig – um die Loyalitätskonflikte des Kindes nicht zu schüren wäre eine gemeinsame Version von Vater und Mutter, falls sie sich mit gutem Gefühl auf eine solche einigen können.
  • Falls das nicht geht (ohne sich und dem Kind gegenüber unehrlich zu werden), gibt es noch eine Möglichkeit: Jeder Elternteil erzählt dem Kind seine Version und fügt hinzu, dass die unterschiedliche Version des anderen Elternteils nicht bedeutet, dass jener die Unwahrheit sagt: „Für mich ist/war es so, der Papa/die Mama hat es so erlebt!“ Das erspart dem Kind, sich dafür entscheiden zu müssen, wer von den Eltern lügt und wer die Wahrheit sagt. Das mildert seine Loyalitätskonflikte und ist eine wertvolle Lektion über das Leben. (Auch bei dieser Art von Vereinbarung kann Erziehungsberatung, Paar- oder Familienberatung sehr hilfreich sein).

Eltern dürfen nicht darauf hoffen, dass die Kinder die Scheidung/Trennung ohne massive Reaktionen hinnehmen könnten! Gesunde Kinder müssen auf die Scheidung reagieren:

  • Angst (den Papa zu verlieren, vielleicht eines Tages auch noch die Mama), Wut, Schuldgefühle, Beschämung (gegenüber Dritten) und Trauer sind normale und unvermeidliche Gefühlsreaktionen der Kinder.
  • Kinder, die in der Wahrnehmung der Eltern „nicht reagieren“, haben die gleichen Gefühlsprobleme, sie zeigen sie nur nicht.

Kinder, die keine sichtbaren Reaktionen zeigen, müssen ermutigt werden, ihre Gefühle (auszudrücken!

  • andernfalls übersieht man ihre Not
  • andernfalls verschieben sie ihre Gefühle auf andere Lebensbereiche (Kindergarten, Schule) oder suchen geradezu im Alltag Konfliktanlässe
  • andernfalls unterliegen die Angst, Wut, die Schuld- und Schamgefühle und der Schmerz der Verdrängung, wodurch neurotischen Spätfolgen der Weg gebahnt ist

Die Haltung der „verantworteten Schuld“ einnehmen.
Darunter ist eine innere Einstellung von Müttern bzw. Vätern zu verstehen, die sich etwa so ausdrücken ließe: „Ich konnte nicht anders bzw. weiß, dass meine/unsere Entscheidung langfristig auch für dich das Beste war (s. Empfehlung 1). Aber ich weiß auch, dass ich dir jetzt großen Schmerz zugefügt habe, und du ein Recht darauf hast, dass ich dir helfe. Diese Schuld kann ich ertragen, weil ich weiß, dass ich meine Entscheidung/mein Einverständnis zur Trennung im Hinblick auf dein künftiges Lebensglück verantworten kann.“
Dann müssen sich die Eltern vor den Reaktionen der Kinder weniger fürchten und können auf sie eingehen, statt sie zu bekämpfen. Eine solche Haltung lässt sich freilich nicht „verordnen“, müssen dazu doch von den Eltern oft große emotionale Widerstände überwunden werden.

Den Kindern die Angst, an der Scheidung schuld zu sein, nehmen!
Fast alle Scheidungskinder haben Schuldgefühle, dass die Eltern sich ihretwegen trennten: weil sie zu schlimm, zu dumm, zu teuer sind u.a.m. 

Die Kinder aktiv in ihren Loyalitätskonflikten entlasten!
Es ist wichtig, den Kindern immer wieder zu vermitteln, dass die Probleme, die zur Scheidung führten, aber auch die Auseinandersetzungen danach, Sache der Eltern sind, dass das Kind jedoch nach wie vor beide lieben darf und zu keinem von beiden halten muss.

(Soweit wie möglich) Regression zulassen!
Die meisten Kinder fallen auf Grund ihrer Ängste in ihrer Selbstständigkeit, Frustrationstoleranz, ihren Bedürfnissen und/oder Leistungen vorübergehend auf eine frühere, schon überwundene Entwicklungsstufe zurück. Sie brauchen das, um sich psychisch gewissermaßen wieder aufrüsten zu können. 

Den Kindern die Angst, den Vater zu verlieren, nehmen!
Diese Forderung setzt natürlich voraus, dass der Vater den Kontakt zu den Kindern aufrechterhalten will bzw. dieser Kontakt für die Kinder nicht unmittelbar gefährlich ist (Alkoholismus, körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch).

Eine fortgesetzte intensive, durch Loyalitätskonflikte möglichst unbelastete Beziehung zum Vater ist die wichtigste (wenn auch nicht einzige) Voraussetzung dafür, dass Kinder das Scheidungserlebnis gut verarbeiten und die Chance der Scheidung langfristig (ohne überwiegend negative Folgen) nützen können.

  • Dazu bedarf es eines möglichst einvernehmlichen Arrangements zwischen den Eltern über die Obsorge (Anteilnahme des Vaters, Information des Vaters über wichtige, das Kind betreffende Angelegenheiten, Gewährung erzieherischer Verantwortung für die Besuchszeiten), 
  • eines Besuchsarrangements, das den Kontaktbedürfnissen der Kinder ebenso entgegenkommt wie den Kontakt- und Lebensbedürfnissen der Eltern.
  • Dabei ist eine gewisse Flexibilität (spontane Vereinbarungen) durchaus wünschenswert, das Mindestmaß der regelmäßigen Kontakte muss jedoch unbedingt fix geregelt sein.
  • Das Besuchsarrangement sollte sich nicht ausschließlich auf Wochenenden und Ferien beschränken, damit auch der Alltag (mit seinen Pflichten und Grenzen) in der Beziehung zwischen Kind und Vater Platz hat.
  • Bei Geschwistern sollte von Zeit zu Zeit auch die Möglichkeit bestehen, den Papa (ohne Bruder oder Schwester) allein für sich zu haben.

Für diese Vereinbarungen sollten sich die Eltern der Familien- oder Erziehungsberatung bedienen und in jenen Fällen, wo die Konflikte das Finden gemeinsamer Lösungen erschweren, der Hilfe von Mediatoren. 

Den Kindern die Angst nehmen, eventuell auch noch die Mutter zu verlieren!
Die meisten Scheidungskinder sind auch in ihrer Beziehung zur Mutter erschüttert. Das nicht zuletzt dadurch, dass die Gefühlsreaktionen der Kinder v.a. ihre Wut und ihre regressiven Bedürfnisse unweigerlich zu Streit und Auseinandersetzungen führen. Diese halten sich zwar in Grenzen, wenn die Mutter die Haltung der „Verantworteten Schuld“ einzunehmen vermag, und Regression zulassen kann, lassen sich dennoch nie ganz verhindern. Dann ist es wichtig, erstens dem Kind die notwendigen Grenzen zu zeigen, ohne ihm für seine Übertretungswünsche oder derzeitigen Anpassungsschwierigkeiten böse zu sein; und zweitens Auseinandersetzungen mit einer ausdrücklichen Versöhnung, durch Versöhnungsrituale unterstrichen, zu beenden; dritten sollte man dem Kind bedeuten, dass es „momentan für uns beide eine schwierige Zeit ist…“ 

Den Kindern helfen, ihre Gefühle nicht nur zu zeigen, sondern auch, sie allmählich in Worte fassen zu können!
Das bedeutet: immer wieder mit den Kindern über ihre Fragen und Gefühle reden. Besonders hilfreich sind in diesem Zusammenhang sozialpädagogische Gruppen für Scheidungskinder (z.B. „Rainbows“, www.rainbows.at)

Sich durch Symptome vor/während/nach den Besuchen des Kindes beim Vater nicht irritieren lassen! 
Weigerungen, Gereiztheit und Aggressionen rund um die Besuche sind normal. Das Kind braucht Zeit, um angstfrei und ohne Wut akzeptieren zu lernen, dass die Beziehungsaufnahme bzw. Wiederaufnahme zum einen Elternteil immer eine Trennung von anderen erfordert. Keineswegs sollen aufgrund solcher Symptome die Besuche eingeschränkt oder gar eingestellt werden. 
Falls Kinder den Kontakt zum Vater strikt verweigern:
Bis ca. 12 Jahre: Von der Besuchsregelung nicht abgehen! Mit Hilfe von Erziehungsberatung nach Ursachen forschen (meist Schuldgefühle, Loyalitätskonflikte). 
Ab ca. 13 Jahre: Ab der Pubertät sollten Besuchsarrangements nicht mehr ohne Mitbestimmung der Kinder erfolgen!

Empfehlungen speziell für Mütter.
Die Intensität der Beziehung zum Vater ist nicht nur für die langfristige seelische Entwicklung des Kindes wichtig, sondern gewährleistet mittelfristig auch die Harmonie der Mutter-Kind-Beziehung. Je intensiver die Beziehung zum Vater, desto geringer werden mittelfristig (nach den ersten Monaten der schwierigen Umstellung) die Alltagsschwierigkeiten zwischen Kind und Mutter ausfallen. Denn je exklusiver eine Zweierbeziehung ist, je geringer die Möglichkeit des Kindes, zwischen zwei Elternteilen zu „pendeln“, desto höher wird auf die Dauer die emotionale Konfliktbelastung sein! 

Als Mutter/Vater die eigene Krise anerkennen und sich helfen lassen!
Kinder in seelischen Krisen zu helfen, ist schwer genug. Geschweige denn, wenn man sich selbst in einer emotionalen, aber auch ökonomischen und sozialen Krise (z.B. Isolation) befindet. In solch einer Situation ist die Annahme, man „müsse es allein schaffen“ unangebracht und gefährlich. Erziehungsberatung, Paar- oder Familienberatung, Mediation, Gruppen für die Kinder, eventuell auch therapeutische Unterstützung für sich selbst oder als Paar- bzw. Familientherapie, sind angebracht und unbedingt zu empfehlen.
(Möglicherweise ist das überhaupt die wichtigste Empfehlung!)

Keinesfalls sollte auf neue Partnerschaften der Kinder zuliebe verzichtet werden!
Neue Partnerschaften der geschiedenen Eltern gehören (neben der fortdauernden Beziehung zum Vater) zu den größten Chancen für die psychische Entwicklung von Scheidungskindern! Das gilt auch dann, wenn die Kinder neue Partner (zunächst) ablehnen. Wie die Scheidung sollten auch neue Partnerschaften unabhängig von den Kindern beschlossen werden. 

Auch wenn die Mutter (der Vater) eine neue Partnerschaft eingeht, das Kind also einen Stiefvater (Stiefmutter) erhält, darf die Beziehung des Kindes zum leiblichen Vater nicht beendet bzw. vermindert werden!
Ein neuer Partner der Mutter – so bedeutsam er für die Kinder sein mag – ändert nichts an der Wichtigkeit der Beziehung des Kindes zu seinem leiblichen Vater. Das gilt auch dann, wenn die Kinder den neuen Partner akzeptiert haben und mögen:

  • Liebesobjekte sind nicht ersetzbar
  • Vor allem aber ist die Fortdauer der Beziehung zum leiblichen Vater für das Identitätsgefühl des Kindes und für sein verinnerlichtes Vertrauen in die Verlässlichkeit von Liebesbeziehungen entscheidend.

Empfehlung für die nicht-obsorgeberechtigten, „weggeschiedenen“ Väter/Mütter:
Dem neuen Partner der Ex-Frau bzw. neuen Partnerin des Ex-Mannes gelassen begegnen und dem Kind bei der Beziehungsaufnahme helfen, statt seine (eventuelle) Opposition zu fördern! Fürchten Sie sich nicht vor Liebesverlust, vertrauen Sie auf die Liebe ihres Kindes.

Quelle: APP (Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytische Pädagogik), Univ. Doz. Dr. Helmuth Figdor